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geschrieben am: 22.05.2002 um 07:52 Uhr
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<b>Der Dachboden</b>
Da war es wieder, Langsam, fast melodisch gleichmäßig. Tap, tap, tap...
Wie lange hatte ich es nicht gehört? Zwei oder drei Wochen? Zumindest in den Woche, die ich daheim verbracht hatte, war absolut nichts gewesen. Wie hatte es doch damals angefangen? Beim ersten Mal, als es mir noch fast die Kehle zuschnürte, hatte ich sofort die Polizei gerufen. Natürlich hatten sie nichts gefunden, waren nicht gut auf mich zu sprechen. Tap, tap, tap...
Es war nun direkt über mir, schien sich af der Stelle zu bewegen. Irgendwo da oben, auf dem Dachboden über mir. Die Tür nach oben hatte ich zusätzlich mit einem zweiten Schloss verstärkt, das erste überprüft und an Ort und Stelle belassen. Doppelt hält besser. Aber bisher war es gar nicht nötig gewesen: Vor der Tür befanden sich drei Stufen, hinter ihr führten genau zehn weitere seitlich nach oben. Und auf keiner der Treppen war je ein Geräusch erklungen. Tap, tap, tap...
Was immer es war, inzwischen gehörte quasi zu mir. Denn in all jenen Nächten, in denen Freunde bei mir schliefen oder die ich hier mit besseren Hälfte verbrachte, waren nie Schritte – waren es Schritte? – erklungen. Wie das dunkle Gespenst, dass die kleinen Kinder quält. Es ist da, jede Nacht. Es ist im Schrank, unterm Bett oder in einer dunklen Nische verborgen. Es lauert, öffnet leicht die Türen und erzeugt leise Geräusche, aber es verschwindet urplötzlich wenn die Eltern nachsehen. Meist gibt es dann Ärger. Man sollte doch den Schrank aufräumen...
Die Schritte waren, am Anfang, der lang und verzerrt in das Leben ragende Schatten der längst vergessenen Alpträume. Der typische endlose Fall, der klassische Psychiater-Traum. Das Aufwachen mit einem Wesen neben dem Bett und einer Klaue um die Kehle. Als Kind hat das Gesicht noch kein Gesicht, ist das personifizierte Dunkel, die Urangst. Später werden es verfaulte Leichen, Werwölfe, Skelette und andere Materialisierungen des Schreckens. Und diese Figuren bleiben, nur weicht das fantastische aus ihnen. Sie werden zum Psychopaten mit dem kalten, irren Blick. Oder man sieht das Gesicht des netten Mannes, der einem als Kind Süßigkeiten schenkte und irgendwann, in einer dunklen Ecke, seinein weiten Mantel öffnete...
Natürlich muss man allein sein, um die Schritte zu hören. Allein wie das kleine Mädchen, das jeden Nacht im selben Bettchen schlafen muss – mit dem Gespenst im Schrank im Schrank und dem Wunsch, dass die Mutter es nie wieder mit dem Vater nachts allein lässt...
Tap, tap, tap…
Ich hatte die Arme hinter dem Kopf verschränkt und starte schräg an die Decke und halb in den Raum hinein. Es war immer nur über mir, nie auf der Treppe oder gar neben mir im Halbdunkel des Zimmers. Nicht wie der Schatten, der so unbedeutend bei Tag und im Sommer gar erwünscht ist, in einsamen Nächten aber stets wie ein Geist an der selben Stelle zu tanzen scheint. Zur Sicherheit sieht man hinaus auf die Straße. Bäume, Straßenlampen und ein paar Autos. Nirgendwo der Raufbold, der seine Mitschüler verprügelt und in den Schrank einsteckt. Auch nicht der beängstigende, selbsternannte Klassenchef, der einem mit feistem Lächeln das Messer an die Kehle setzte. Nichts auf der Straße, was einen an die Angst erinnert. Verliere ich die Arbeit? Was wird später (noch) aus mir? Was, wenn der Test positiv ausfällt? Tap, tap, tap…
Die anfängliche Panik war einer unbequemen Nervosität gewichen. Als diese dann auch verebbte lag ich jedes Mal nur noch gespannt im Bett. Neugier? Faszination...
Einige Male hatte ich mir vorgenommen, nachts hinauf zu gehen. Erst einmal, wenn da keine Schritte waren (sie waren ja recht selten...) und dann ein zweites Mal, wenn es mal wieder soweit war. Neulich hatte bereits eine Hand and der Tür, ließ es aber dann doch bleiben.
Ein anderer Gedanke beunruhigte mich. Wie hätte ich reagiert, wenn an Stelle der Schritte über mir auf dem Dachboden ein Kratzen unter dem Bett gewesen wäre? Dem hatte ich unbewusst vorgebeugt indem ich auf einer Liege schlief die am Tag als Sofa fungierte. Es gab also keine Geräusche unter dem Bett, höchstens im Bettkasten...
Mein Kopf lag leicht erhöht, ich blickte in die schwimmende Mischung aus Dunkelheit und Halbschatten welche das Zimmer erfüllte. Erst jetzt merkte ich, wie sehr sich etwas in mir dagegen sträubte, nach hinten zu sehen. Direkt am Bettende meiner Schlafstatt fand sich das einzige Fenster des Raumes. Ja, es war da. Schatten fielen ins Zimmer, glitten über mich hinweg. Hoffentlich sahen mir keine (toten) Augen zu. Was hätte ich getan, wenn jenseits des Fensters etwas in dieser Art gewesen wäre? Weglaufen, schreien – vielleicht etwas durch das Glas nach draußen stoßen? Tap, tap, tap…
<i> Fortsetzung</i> |
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