<center>Rostock (dpa/gms) - Fast zwei Jahrzehnte lang unterrichtete Doris Müller, dann wurde sie arbeitslos. Jetzt engagiert sich die Lehrerin bei «Dau wat», einer gewerkschaftlichen Arbeitsloseninitiative in Rostock.</center>
Einige Stunden in der Woche steht sie als ehrenamtliche Sozialberaterin anderen Erwerbslosen mit Rat zur Seite. «Ohne Freundeskreis und Familie ist Arbeitslosigkeit ein unhaltbarer Zustand», sagt Müller. Depressive Verstimmungen, Verlust des Selbstwertgefühls und psychosomatische Störungen können die Folgen sein. «Viele Erwerbslose fühlen sich als "schlechter Mensch"», sagt Müller. Noch immer herrsche die Auffassung: «Wer arbeiten will, findet auch Arbeit», beklagt sie. Einige hätten resigniert und sich ganz zurückgezogen: «Sie gehen nur noch zum Einkaufen aus dem Haus.» Hinzu kommen finanzielle Sorgen.
Derzeit führt die für 2005 beschlossene Einführung des Arbeitslosengeldes II zu neuen Verunsicherungen: «Viele Langzeitarbeitslose fragen sich: "Was wird mit meiner Altersvorsorge? Werde ich meine Wohnung halten können?"», sagt Harald Rein vom Frankfurter Arbeitslosenzentrum (FALZ).
Wer gerade seinen Arbeitsplatz verloren hat, fühle sich oft überfordert, sagt Ilona Wilhelms. «Die Betroffenen fallen in ein Loch», so die Mitarbeiterin von EFA, der Informations- und Beratungsstelle Frau und Beruf in Hamburg. Sich an eine Beratungsstelle zu wenden, wo Fachleute dabei helfen, die eigene Situation zu verstehen, könne sehr entlastend sein.
«Das Schlimmste ist der Verlust aller sozialen Bezüge», sagt die Psychologin. Wichtig sei es deshalb, sich mit Menschen zusammenzutun, die sich in gleicher Lage befinden. «Gerade in Unternehmen, die viele Mitarbeiter entlassen, bietet es sich an, Betroffenenkreise zu bilden», rät Wilhelms.
In Zeiten ohne Job solle man sich zudem möglichst eine sinnvolle Aufgabe suchen: «Zwei Jahre nichts zu tun, führt zum Verlust der Qualifikation», warnt Wilhelms. Durch ein Ehrenamt etwa ließen sich nicht nur die eigenen Fähigkeiten trainieren - das Engagement führe auch zu einer besseren Vernetzung. «Viele Arbeitsplätze werden nicht öffentlich ausgeschrieben. Netzwerke können sehr günstig sein, um zu erfahren, wo es freie Stellen gibt.»
Der Zeit- und Kraftaufwand, der für Bewerbungsbemühungen aufgebracht werden muss, ist groß: «Viele strengen sich an bis zum geht nicht mehr», hat Karsten Veth, Sozialsekretär beim Kirchlichen Dienst in der Arbeitswelt (KDA) in Kiel, festgestellt. Zweimal im Jahr können sich Erwerbslose im «Club der Arbeitssuchenden» eine Woche lang gemeinsam auf Arbeitsplatzsuche begeben. «Die Gruppe stärkt und beflügelt», sagt Veth.
Manchmal müssten Stellensuchende jedoch bereit sein, utopische Vorstellungen und eingefahrene Gleise aufzugeben: «Hundert Mal die gleiche Bewerbung abzuschicken, führt selten zum Erfolg», so der KDA-Mitarbeiter. «Angesichts der Arbeitsmarktlage ist ein neuer Einstieg oftmals nur über einen 400-Euro-Job, Zeitarbeit oder geringere Entlohnung möglich.» Eine Bewerbung aus der Arbeitslosigkeit heraus gilt nicht mehr unbedingt als nachteilig.
Oft können die Chancen auf dem Arbeitsmarkt durch berufliche Weiterbildungen erhöht werden. «Damit die Leute den Anschluss nicht verlieren, bieten wir zum Beispiel EDV-Kurse an», sagt Müller. Weiterbildungen über die Agentur für Arbeit finanziert zu bekommen, ist schwieriger geworden: «Wer mit dem Hinweis, die Gelder seien schon aufgebraucht, keine erhält, sollte dennoch immer wieder nachfragen», rät Rein. Zudem sei es grundsätzlich ratsam, eine Weiterbildung schriftlich zu beantragen.
Nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit (BAA) in Nürnberg gab es im April bundesweit knapp 124 000 so genannte Ich-AGs. Rund 157 000 Arbeitslose wagten im vergangenen Jahr mit Hilfe von Überbrückungsgeld den Sprung in die Selbstständigkeit. Im Vergleich zu 2002 war dies eine Steigerung um mehr als ein Viertel.
«Wer sich aus der Arbeitslosigkeit heraus selbstständig macht, ist nicht immer der geborene Unternehmer», räumt Helmut Kleinen ein. Er ist Berater bei der Gesellschaft für innovative Beschäftigungsförderung in Bottrop. Mit begleitender Beratung und sofern die Geschäftsidee durchkalkuliert wurde, könne sie sich aber als tragfähig erweisen. «Problematisch wird es immer, wenn jemand in eine Branche einsteigen möchte, mit der er noch nichts zu tun hatte.»
<center>Literatur: Rolf Winkel/Hans Nakielski: 111 Tipps für Arbeitslose, Bund Verlag, ISBN 3-7663-3528-6, 9,90 Euro.</center> |